180 Menschen räkeln sich still auf Sitzsäcken oder Stühlen mitten in der evangelischen Stadtkirche Sankt Markus am Altstadtring, die Augen weit aufgerissen. Draußen schneit es, drinnen entsteht gerade die Welt. Dunkelheit und Urflut werden zum Licht, begleitet von Gustav Mahlers „Urlicht“ aus „Des Knaben Wunderhorn“ und Joseph Haydns „Schöpfung“. Acht lichtstarke Projektoren zeichnen digitale Lichtkunst rund um den Kirchenraum, zeichnen Stuckornamente mit grellem Licht nach oder überlagern schlichte, glatte Säulen so, dass sie barock verdreht wirken. „Genesis“ heißt das Spektakel, und die Frage, ob das eher Kunst oder Technik ist, ließ das Publikum einhellig außer Acht: Die 30 Wellness-Minuten für Augen und Ohren kommen gut an.
Die Münchner wissen spätestens seit letztem September, als die Nordwand der Pinakothek der Moderne zum Pixeltanz einlud, wie Architektur lebendig werden kann, wenn Künstler sie beleuchten und digital zu neuen, dreidimensionaleren Daten formen Skulptur. Immersive Kunst (eintauchen, abgeleitet aus dem Lateinischen) heißt dieser Zweig, weil er die Grenzen zwischen Betrachter und Struktur verwischt. Architekturtaucher finden jetzt in der evangelischen Markuskirche neue Kost, sehr intensiv, fast berauschend.
Das Zürcher Künstlerkollektiv Projektil und die Eventplattform Fever zeigen seit Freitag und bis zum 13. März die ersten drei Tage der biblischen Schöpfungsgeschichte. Neun Monate Vorarbeit flossen in das Projekt. Das Innere der Kirche wurde gescannt, „wir wollen unsere Kunst nicht auf das Gebäude klatschen“, erklärt Philippe Trawnika, Grafiker und Produzent, „wir wollen die meditative Energie der Kirche emotional verstärken.“ Drei Tage und drei Nächte lang waren die Projektoren aufgebaut, nun kann das Publikum in den optischen Rausch explodierender Blüten oder eines kosmischen Firmaments eintauchen, das aussieht wie eine umbaubare Kirche aus dem Sitzsack.
Besucherin Bilge Sungur sagt, die Show sei “stellenweise gut, stellenweise kitschig”, lobt aber die präzise Anpassung der Bilder an die Architektur des Markusplatzes. Thomas Formann aus München ist sehr angetan, obwohl die Musik „nicht so mein Ding“ ist. Bela Beckenbauer und Sabine Krallinger, beide schwerhörig, schwärmen: „Das ist Herzrasen, magisch, schön – Glücksgefühle und jede Menge Energie! Super für die Seele!“
Weitere Informationen im Internet unter www.feverup.com/muenchen