
Lenggrieser Hans Kiening war früher in der Filmtechnik tätig. Dann stellte er sich einer neuen Herausforderung.
Lenggries – Hans Kiening ist ein Tüftler. Früher war er in der Filmtechnik tätig. Über 20 Jahre arbeitete der Lenggrieser für das Münchner Unternehmen Arri, das auf Kameras, Beleuchtung und Digitaltechnik spezialisiert ist. Kiening war an der Entwicklung von drei Produkten beteiligt, die später mit dem Technik-Oscar ausgezeichnet wurden. Vor gut zehn Jahren nahm der 54-Jährige eine neue Herausforderung an und entwickelte mit seinem Bruder Martin und weiteren Teammitgliedern das Arriscope, das weltweit erste hochauflösende digitale 3D-Operationsmikroskop. Das rund 300.000 Euro teure Gerät war 2019 marktreif. Mittlerweile steht es in 20 Kliniken in Deutschland, aber auch in Oslo, Stanford und Kopenhagen.
Bilder im Livestream
Es wurde zunächst im HNO-Bereich eingesetzt, findet aber mittlerweile auch bei Augenoperationen Anwendung. Das Gerät bietet nicht nur eine gestochen scharfe, räumliche Bildgebung. Gleichzeitig kann der Operateur weitere Daten in sein Sichtfeld einblenden – ohne das OP-Gebiet aus den Augen zu verlieren. Zudem können die Bilder in 3D oder 2D als Livestream übertragen werden – zum Beispiel, wenn ein weiterer Experte hinzugezogen werden muss. Dessen Markierungen oder Vorschläge werden direkt im Sichtfeld des Operateurs angezeigt. Diese Technik ist auch ideal für das Training.
Die Idee ist im Grunde aus der Not heraus entstanden. 2009 eroberte James Camerons „Avatar“ mit revolutionärer 3D-Technik auch die deutschen Kinos. Dies stürzte Arri in eine Krise. Damals habe das Münchner Unternehmen noch keine kommerziell verkäufliche Digitalkamera gehabt, sagt Kiening. Ab 2010 wurden jedoch etwa 90 Prozent aller Filme digital produziert. „Also haben wir überlegt, was wir noch machen könnten – abseits des Kinos“, sagt der 54-Jährige. Der medizinische Bereich rückte relativ schnell in den Fokus – auch weil es nicht der erste Vorstoß von Arri in diese Richtung war. In den 1970er Jahren hatte das Unternehmen die erste und einzige Röntgenfilmkamera entwickelt. „Daher schien es eine gute Idee, in diesem Bereich neu anzufangen“, sagt Kiening.
Im OP gesammelte Erfahrungen
Es war klar, dass es um medizinische Bildgebung gehen sollte. Auf der Suche nach der richtigen Idee entstand Kienings Freundschaft mit Dr. Claus Kiehling, den er über den Rotary Club Tölz kennengelernt hatte. Kiehling, der damals Chefarzt der Asklepios Städtischen Klinik war, „führte mich in den Operationssaal und zeigte mir, wo er das Problem sah“, erinnert sich Lenggrieser. Die Idee, aus der neuen Arri-Digitalkamera ein volldigitales 3D-Operationsmikroskop zu entwickeln, war geboren.

Rund 30 Millionen Euro für die Entwicklung
Ab 2012 baute Kiening innerhalb von Arri ein Medizintechnikunternehmen auf und widmete sich mit seinem Bruder und seinem Team dem Projekt. Bis heute sind rund 30 Millionen Euro in die Entwicklung geflossen. In den ersten Jahren sagte Kiening einmal in einem Interview, man sei „mit einer gehörigen Portion naivem Optimismus an die Sache herangegangen“. Möglicherweise lag es an diesem Optimismus, dass dem Unternehmen in den sieben Jahren zwischen Idee und Marktreife nicht die Puste ausging. Trotzdem habe es natürlich “unzählige Momente” des Zweifels gegeben. „Wenn Ihr Produkt im OP zum Einsatz kommt, geht es manchmal um Leben und Tod.“ Aber das war letztlich der Ansporn, „unser Produkt so gut wie möglich zu machen“.

Präsentation auf Messen
Ein großer Schritt nach vorne war, als 2014 ein Profi aus dem Medizintechnikvertrieb ins Team kam. Daraus ergaben sich Kontakte, „die uns bei der Zertifizierung geholfen haben“, sagt Kiening. Den letzten großen Umbruch gab es dann 2020/21: Nach Differenzen mit dem neuen Vorstand verließ Kiening mit seinem Team Arri, gründete die Munich Surgical Imaging GmbH und fand unter dem Dach von Heidelberg Engineering (HE) eine neue Heimat. Und nicht nur das: HE bereicherte das Originalgerät mit neuer Technik aus der Augenheilkunde. „Mit der optischen Kohärenztomographie – kurz OCT – kann man ähnlich wie bei einem Ultraschall unter die Oberfläche blicken“, erklärt Kiening. Während einer Augenoperation kann der Arzt zusätzliche Perspektiven einblenden, die ihm genau zeigen, wie tief er im Auge sitzt. Vor einigen Monaten wurde das ophthalmologische Mikroskop auf mehreren europäischen und amerikanischen Messen präsentiert. Das Feedback sei mehr als positiv gewesen, sagt Kiening. Man hoffe daher, dass aus dem Start-up noch in diesem Jahr ein wirtschaftlich tragfähiges Unternehmen werde, „Und“, sagt Kiening, „die Zeichen stehen gut.“
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