Nachruf
Musiker und Mensch: In Erinnerung an Angela Seifert
Die kürzlich verstorbene Angela Seifert war mehr als eine begnadete Musikerin, sie umspannte mit ihrem Geigen- oder Hackbrettspiel die Welt und fand in verschiedenen Formationen ihre musikalische Heimat. Die Lehrerin setzte sich mit dem Geigenspiel vor dem Bundeshaus für Frauenrechte ein.

Angela Seifert (1956 bis 2022).
Und wenn sie spielte, war es nicht ihre Geige, die die Musik spielte. Nein, sie war es, die ihrer Musik die Seele, den Klang gab. Ihr Ausdruck, ihre Art, ihre Ausstrahlung, ihre Freude, ihr Lachen und ihr Können lassen die Töne schweben und die Musik lebendig werden. Angela Seifert war mehr als nur eine begnadete Musikerin. Sie ließ ihre Musik immer in ihren eigenen Welten erklingen. Sie strahlte Glück, Besinnung, Sinnlichkeit und Hoffnung zugleich aus. Als würde ihre Musik nicht nur die Welt umspannen, sondern sie auch herzlich umarmen. Ob alleine oder im Einklang mit ihren Mitmusikern – ob Geige oder Hackbrett: Angela Seifert war Zeit ihres Lebens Musik.
Ein abenteuerliches, entschlossenes Leben. Ein Leben mit vielen Höhen und Tiefen, nicht nur in der Musik. Aber auch ein Leben, das Mitte Dezember vergangenen Jahres ein viel zu frühes Ende fand. Wie viele Menschen Angela Seifert in ihrem Leben bewegt und berührt hat, zeigte auch das große und bunt gemischte Publikum bei ihrer Abschiedsfeier zum Jahresende in der Kirche in Trogen.
Das Leben von Angela Seifert war abwechslungsreich und ungewöhnlich, sodass sich ein normaler „Lebenslauf“ kaum schreiben lässt. Zwei Elemente jedoch, die ihr wirklich wichtig waren, prägten ihr Leben nach außen hin: erstens die Musik in all ihren lebensumfassenden Facetten und Formen. Und zweitens eine Pädagogik und Erziehung, die auf befreiender Freiheit aufbaut.
Angela Seifert wuchs als Adoptivkind in einer behüteten Welt in St.Gallen auf. So hatte sie es zumindest in liebevoller Erinnerung. Und Zeit ihres Lebens – neben ihren Reisen – war das Land zwischen Säntis und Bodensee ihre Heimat – auch musikalisch. Ihre Liebe zur Musik entdeckte sie dank ihres musikalischen Adoptivvaters. Die Violine wurde ihr Instrument, und sie absolvierte ihre erste Ausbildung im damaligen Lehrerkollegium in Rorschach.
Aber sie rebellierte schon in jungen Jahren. Angela wollte wirklich nicht Lehrerin in einem System sein, das ihr fremd und eng war. Und mit ihrer Geige wollte sie nicht mehr nur die vorgegebenen Töne spielen.
„Deshalb wollte ich mit 18 meine Geige aufgeben. Aber mit dem Einstieg in die Volksmusik ging die Musik über Haut und Haare, Leib und Seele!“, sagte sie einmal über sich und diese Zeit. Und das war typisch. Sie war immer auf der Suche nach dem Besonderen, dem Umfassenden, dem Menschlichen. Vor über 40 Jahren fand sie mit ihrem Spiel und ihren Ideen in der Musikgruppe „Nachgeldach“, später auch bei „Mikado“ mit eigenen Kompositionen und im Septett „Ceraya“, wo sie ihre Freude und Leidenschaft teilte, eine musikalische Heimat die Musik der „Reisenden aus Ost und West“ leben und spielen konnte. Eine besondere Formation war die Gruppe “Schlatt-Express”, eine Appenzeller “Ad Hock”-Formation für die – leider nur “ewig geplante” – Amerika-Tournee. Besonders ihre Mitwirkung im «Appenzeller Space Schöttl», einer Appenzeller Streichmusik-Formation der «anderen Art».
In den letzten Jahren war die «Spindle» ihre musikalische Heimat. In diesem Trio konnten Angela, ihr Mann Stephan Bucher und Hackbrettspieler Lorenz Schefer ihre eigene „Weltmusik“ buchstäblich mit „Haut und Haar, Leib und Seele“ spielen und mit ihrer ansteckend fröhlichen und positiven Art begeistern.
Angela Seifert hat auch an der Musikschule Appenzeller Mittelland ihre Spuren hinterlassen, indem sie zwei junge Hackbrett-Ensembles gründete. Entsprechend ihrer Lebensweise sollen sich „die jungen Menschen frei und in Freiheit – auch in der eigenen Musik – entfalten und miteinander spielen können“. Heute werden die Ensembles von ihrem Nachfolger Nicolas Senn geleitet. Ihr Spiel auf der Abschiedsparty muss auch Angelas Herz berührt haben, denn obwohl sie weit weg war, war sie mittendrin „da“.
Wie mit der Musik hat sich Angela Seifert auch mit Erziehung und Bildung akribisch auseinandergesetzt. Das ist nicht nur theoretisch, sondern sehr praktisch, alltagsnah und kämpferisch. Sie schickte ihre Kinder nicht auf öffentliche Schulen, sondern unterrichtete sie zu Hause, gegen den Widerstand vieler Behörden und Pädagogen. Ihr Wunsch und hartnäckiges Streben war die Gründung einer freien Privatschule nach dem Schulmodell von Sudbury Valley. Ziel war es, in der Schweiz eine Schule zu eröffnen, die sich an diesen Grundsätzen orientiert: religiös und politisch unabhängig, der Demokratie und Freiheit verpflichtet. Ihr Engagement dafür war groß, aber die Gründung der Schule ist (noch) nicht gelungen. Das Erbe www.sudval.ch wartet.
Frei in der Musik, frei in der Bildung und frei im Leben – dafür hat es sich gelohnt zu kämpfen. Angela Seifert hat ihr Leben lang immer wieder politische Initiativen unterstützt, die ihrem Lebensstandard entsprachen. So begleitet sie die ehemalige Frauenstimmrechtskämpferin Elisabeth Pletscher an vorderster Front mit ihrem Geigenspiel im Bundeshaus in Bern, um das Thema durchzusetzen. So fand man Angela Seifert immer wieder an Orten, an denen gekämpft, gestreikt oder für Gerechtigkeit, Kinder, Gleichberechtigung, Umwelt und Menschlichkeit demonstriert wurde. Mit Engagement, mit Herzlichkeit und mit ihrer ganzen Welt voller wunderbarer Töne. Und auch wenn sie jetzt in einer anderen Welt spielt – ihre globale und herzliche Musik lebt unter uns weiter. Danke und… Trost!