“Diskussion bei 14-59 ist relevant für die Vergleichbarkeit eines Marktes”

Seit Anfang Januar dieses Jahres diskutiert die TV-Branche erneut über eine Neudefinition der sogenannten „werberelevanten Zielgruppe“ als Benchmark im Markt. Eine Diskussion, an der sich der DWDL seit mehr als zehn Jahren aktiv beteiligt. Die Debatte dreht sich einmal mehr um die Frage, ob 50-Jährige noch werberelevant sind und welchen Stellenwert die Berücksichtigung eines immer kleiner werdenden Bevölkerungsanteils hat. Die alternative Betrachtung der Gesamtzuschauerzahl verzerrt nach Ansicht einiger Marktteilnehmer das Bild aufgrund der weit überdurchschnittlichen TV-Nutzung der besonders großen Zahl besonders alter Zuschauer. Bewegungen und Veränderungen des Markt- oder TV-Geschmacks bei den unter 60-Jährigen würden kaum wahrgenommen.

Braucht es also jetzt eine erweiterte Definition der „werberelevanten Zielgruppe“? Oder ist ein gemeinsamer Benchmark für den Markt überholt? DWDL.de hat darüber bereits gesprochen Stephan Schmitter, Geschäftsführer Content & Brands bei RTL Deutschlandund Guido Modenbach, EVP Research, Analytics & Consulting bei Seven.One Entertainment. Jetzt spricht die Währungshüterin: Kerstin Niederauer-Head ist Geschäftsführerin der AGF Videoforschung GmbH, die im Auftrag von Sendern und Streaming-Anbietern die bekannten Quoten von der GfK erheben lässt. Im exklusiven DWDL.de-Interview geht sie methodisch auf das Thema ein.

Die Branche diskutiert eine mögliche Umstellung der vergleichbaren werberelevanten Reichweite auf 14-59. Was sagt die AGF dazu, Frau Niederauer-Leiterin?

Bei diesem Thema, das übrigens nichts Neues ist, müssen wir differenzieren. Als AGF haben wir unserem Aufsichtsrat im vergangenen Jahr vorgeschlagen, auch 14-59 oder 20-59 zu berücksichtigen. Aber um das zu verstehen, muss man zwischen Marktanteilen und Reichweite unterscheiden, denn wir haben in Deutschland eine besonders vielfältige, tolle Senderlandschaft. Wenn wir von Reichweite sprechen, also wie viele Menschen mit einem Angebot erreicht wurden, dann kann man sich fragen, warum man nicht noch mehr den Betrachter als Ganzes in den Fokus stellt. In der digitalen Welt wird meist das Gesamtpublikum angezeigt. Oder sehen wir bei digitalen Angeboten einen Ausweis für die 14-49-Jährigen? Reichweitentechnisch interessant wird eine Öffnung der sogenannten werberelevanten Zielgruppen 14-49, die ebenfalls vom Markt definiert wurde, zu 14-59. Der Vergleich der Marktanteile in nur einer Zielgruppe lässt die besondere Positionierung außer Acht. Viele Sender arbeiten mit eigenen Relevanzzielgruppen. Darüber hinaus haben Medienentscheider auch eigene Marketing-Zielgruppen, nach denen sie steuern und planen. Aufgabe der AGF ist es, genau für diese Zwecke ein Referenzsystem bereitzustellen, das diese Vielfalt auch abbilden kann.

Planung und Buchung waren schon immer unterschiedlich, aber es gab – vom Markt definiert – den kleinsten gemeinsamen Nenner der 14-49-Jährigen für eine gewisse Vergleichbarkeit.

Das stimmt. Der differenzierte Blick ist wichtig. Wenn wir auf die Reichweite schauen, also auf die geknüpften Kontakte, dann schauen wir in der AGF auch mit einer methodischen Brille auf die demografische Entwicklung in Deutschland – und den dort zu beobachtenden Wandel kann niemand von der Hand weisen. Wir haben eine der ältesten Bevölkerungsstrukturen der Welt. Die Babyboomer werden immer älter. Folglich gibt es in Deutschland tendenziell immer weniger 14- bis 49-Jährige. Man muss sich also fragen, ob man diese demografische Entwicklung nicht auch bei der Darstellung der Reichweite im Reporting von Zielgruppen berücksichtigen muss. Und wer 14-49 als „werberelevant“ definiert, muss sich die Frage stellen, warum die durchaus kauffreudigen 50-59-Jährigen fehlen, vor allem wenn man ihre Kaufkraft betrachtet. Mit 14-49 haben wir nicht viele Kontakte, die für den Werbe- und Rundfunkmarkt wertvoll sind, und das Potenzial, die Fernsehnutzung bei dieser Zielgruppe abbilden zu können, nimmt sukzessive ab. Dies sind methodische Argumente zur Erschließung der werberelevanten Zielgruppe, um die Leistungsfähigkeit eines Mediums umfassender abzubilden. Gemeint ist Reichweite, nicht Marktanteile.

Wie sieht es dort aus?

Betrachten wir zum Beispiel Kanäle, die ein sehr junges Publikum ansprechen, dann ist der Marktanteil einer älteren definierten Zielgruppe nicht nur ein unangemessenes Maß, sondern auch ein irreführendes. Sie sagt nichts über den Erfolg der angestrebten Zielgruppe aus. Ich freue mich sehr, dass wir mit unserem System den Einsatz von Bewegtbild für verschiedene Zielgruppen kalkulieren können, um jedem Marktteilnehmer maßgeschneiderte Antworten liefern zu können. Aufgrund der teilweise unterschiedlichen Ausrichtung der Sender wäre es zu einfach, sie alle über einen Kamm zu scheren. Sender wie Nitro oder Sat.1 Gold wollen genauer wissen, wie sie in ihrer anvisierten Zielgruppe abschneiden. Um es noch deutlicher zu sagen: Kindersender werden ihre Marktanteile höchstwahrscheinlich weder am 14.49 noch am 14.59 melden.

Das ist kostenlos, bedeutet aber auch, dass jeder in jeder Zielgruppe den Gewinner küren kann. Nach einer Weile ist es egal …

Das stimmt natürlich. Der Markt wird immer komplexer und Bezugspunkte sind wichtig. Daher ist es kein Plädoyer dafür, dass jetzt jeder in der Kommunikation die Zielgruppe nimmt, die er oder sie will. Auch hier müssen wir wieder zwischen den sehr individuellen Anforderungen und Plänen der Werbekunden unterscheiden, die sich auch in den separat definierten Relevanzzielgruppen der einzelnen Sender widerspiegeln. Aus diesem Grund werden Kanäle für ein angemessenes Publikum formatiert. Du schaust viel genauer hin. Die 14-59-Diskussion ist sicherlich relevant für den Marktvergleich und die Berichterstattung, mit dem Wunsch zu wissen, welche Shows ein allgemein werberelevantes Publikum hatten. Letztlich ist das eine Marktdiskussion.

„Schauen wir weiter auf 14-49, findet die Branche gute Argumente für die unbestreitbare Relevanz des Mediengenres TV.“