3sat-Dokumentation “Blind Steps”: Lichtspuren aus dem KZ – Medien

Von den Bildern aus den NS-Konzentrationslagern sind es diejenigen, die das fotografische Gedächtnis geprägt haben: die des Ordens in den kargen Baracken und die darin auf nackten Böden und Betten eingepferchten, sowie die der vielen Kranken und die unzähligen Leichen, Opfer von Tötungen und Misshandlungen, verstreut auf ödem Gelände oder sogar auf Haufen vor ihrer Massenbestattung. Diese Bilder wurden bekanntlich von den Befreiern, Kameramännern der Alliierten, gemacht. Es sind Tatort- und Tatopferfotos, die unmittelbar nach der Tat aufgenommen wurden.

Der französische Dokumentarfilmer Christophe Cognet konzentriert sich auf die vergleichsweise wenigen anderen: Bilder, die den von ihnen selbst fotografierten Alltag der Häftlinge unter den Bedingungen ihrer umfassenden Entrechtung in den Lagern zeigen. Entrechtung bedeutete auch, dass sie mit jeder dieser Aufnahmen ein ständiges Risiko für Leib und Leben eingingen.

Cognets Film mit dem Titel blinder Schritt wird im Rahmen des diesjährigen Holocaust-Gedenktages erstmals ausgestrahlt. Vor zwei Jahren auf der Berlinale präsentiert und im Sommer 2019 in Vor-Corona-Zeiten gedreht, erschien noch im selben Jahr eine Buchveröffentlichung der Autorin beim französischen Verlag Éditions du Seuil. Leider ist das Buch hierzulande in einer Handvoll Bibliotheken nicht erhältlich. Denn Cognets Buch mit dem Titel „Eclats“ (was mit „Splitters of Light“ nur ungenügend zu übersetzen wäre) geht auf über 400 Seiten weitaus umfassender und mit fototheoretischem Rüstzeug gerüstet die historische Bedeutung seiner Exemplare auf.

3sat-Dokumentation: Bild im Bild: Das alte Motiv einer KZ-Baracke ist unter den überwucherten Bäumen nicht mehr zu erkennen.

Bild im Bild: Das alte Motiv einer KZ-Baracke ist unter den überwucherten Bäumen nicht mehr zu erkennen.

(FotoCeline Bozon/ZDF)

Doch der Dokumentarfilm setzt einen anderen Akzent, denn die Fotos wirken auf den ersten Blick nüchtern; bis auf wenige Ausnahmen, wie die drei Polinnen im KZ Ravensbrück, die ihren Status als, wie sie es nannten, „Versuchskaninchen“ vor der Kamera ihrer Begleiterin Joanna Szydłowska demonstrierten. Aber wenn die Dachauer Fotografien des Häftlings Rudolf Císař, ehemaliger Bibliothekar und zuletzt tschechischer Spion, Häftlinge vor der Krankenbaracke im Sonntagslicht zeigen, ihre Widerstandskraft, wie der Archivar der dortigen KZ-Gedenkstätte Albert Knoll kommentiert Sie zeigt sich auf den Fotos weniger offensichtlich – als in ihrer damaligen Illegalität. In der Tatsache, dass sie überhaupt gemacht wurden.

Wissenschaftler versuchen vor Ort, die Aufnahmeposition zu entwickeln

Gleiches gilt für ein Foto des dortigen Krematoriums, das der französische Häftling Georges Angéli aufgenommen hat: Der Fotograf selbst fand es nach dem Krieg so verstörend friedlich, dass er einen Ausschnitt des Bildes mit mehreren Mitgefangenen beim Sonnenbaden auf dem Schornstein davor nahm entsprechende Rasenrabatte, auf zahlreichen Drucken retuschiert. Christophe Cognet geht es also, wie er im Gespräch betont, um die Rekonstruktion der jeweiligen „acte photographique“, des fotografischen Vorgangs, der rein physikalisch, physikalisch zu verstehen ist: als Lichtspur des Bildobjekts in vor der Kamera auf die chemische Emulsion des Filmstreifens (ganz im Sinne von André Bazin und Roland Barthes) und als physischer Umgang des Bildermachers mit seinem Apparat.

Die Bemühungen des Dokumentarfilmers in Zusammenarbeit mit den Wissenschaftlern an den Gedenkstätten dauern dann viele Minuten, um die Position der KZ-Häftlinge zu enthüllen, die die Fotos damals gemacht haben. Auch akustisch (Gott sei Dank verzichtet Cognet auf jegliche Hintergrundmusik) wollen die Spaziergänge über das Gelände kaum enden, bis die Kongruenz zwischen Originalaufnahme und aktuellem Standort erreicht ist. Das Ergebnis der langwierigen Recherche: Viele Fotos wurden ohne Blick durch den Sucher geblendet, die Kamera unter dem Arm versteckt oder auf Wadenhöhe gehalten und der Körper vorgebeugt und damit der Kontrolle jeglichen Sicherheitspersonals entzogen.

3sat-Dokumentation: Mit alten Fotos auf der Suche nach neuen Perspektiven und Zusammenhängen: Christophe Cognet (links) recherchiert in verlorener Zeit, begleitet von Igor Bartoksik (rechts) vom Museum Auschwitz-Birkenau.

Mit alten Fotos auf der Suche nach neuen Perspektiven und Zusammenhängen: Christophe Cognet (links) bei der Recherche nach verlorener Zeit, begleitet von Igor Bartoksik (rechts) vom Museum Auschwitz-Birkenau.

(FotoCeline Bozon/ZDF)

Am Ende des Films sind die vier jetzt hieratischen Bilder aus Auschwitz-Birkenau, aufgenommen aus einer geneigten Position. Alberto Errera, ein aus Griechenland deportierter Angehöriger des in den Gaskammern eingesetzten sogenannten „Sonderkommandos“, hatte sie aufgenommen und konnte die belichteten Filme dem damaligen polnischen Widerstand übergeben. Cognet ist es wichtig zu beweisen, dass ihre Aussage nicht allein auf dem Bild von sich unter freiem Himmel entkleidenden Frauen und dort brennenden Leichen basiert, sondern auf dem spezifischen Blickwinkel der Aufnahme aus dem Inneren des Gebäudes : Der Fotograf war genau dort, wo er war, bevor das Giftgas-Attentat stattfand. Dies ist eine Aussage, die in ihrer technischen Tatsache fast anmaßend erscheint.

Der Titel von Cognets Film im Original Mit blinden SchrittenSie ist dem Roman „Mit blinde tret iber der erd“ zu verdanken. Geschrieben hat es der im Film namentlich nicht genannte Leïb Rochman, ein hierzulande noch nahezu unentdeckter jiddischer Autor. Gemeinsam mit seiner Frau gelang ihm 1942 die Flucht aus einem Arbeitslager bei Majdanek und überlebte in einem Geheimversteck bis zur Befreiung.

„Blinde Schritte“, am Montag um 22:25 Uhr auf 3sat und bis 22. Februar in der Mediathek.